Nach CETA – Das Handelsabkommen zwischen EU und Vietnam

Ein Handelsabkommen zwischen der EU und Vietnam wird voraussichtlich Möglichkeiten zur strategischen Entwicklung Vietnams und neue Marktlücken für europäische Unternehmen schaffen. Das Abkommen ist jedoch von etwa 20 Abkommen der ‚neuen Generation‘, die die EU zurzeit aushandelt, von denen CETA das erste ist, das vom Europäischen Parlament ratifizierte wurde.

Daher entspricht das Handelsabkommen zwischen EU und Vietnam den Eigenschaften eines „gemischten Abkommens“. Das bedeutet, dass es nicht nur auf die klassischen Handelsfragen, die ausschließlich im Kompetenzbereich der EU liegen, beschränkt ist, sondern auch Investitionen, insbesondere durch die Investoren-Staat-Schiedsklausel, und sozialstaatlichen und Umweltbestimmungen behandelt, welche in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fallen. Das grundlegende Problem dieser Art eines Abkommens besteht darin, dass es durch die Schiedsgerichte durchsetzbare Rechte für ausländische Investoren zusichert, aber keinen Sanktionsmechanismus für die Nichtbefolgung sozialer und Umweltschutznormen bietet. Außerdem wurde keine Bewertung des Einflusses auf die Menschenrechte durchgeführt. Daher muss eine Anzahl an Bedingungen erfüllt werden, bevor eine Entscheidung, über die Unterzeichnung oder Ratifizierung  gefällt wird.

Wieder Geheimverhandlungen statt Trasparenz

Die Verhandlung des EU-Vietnam-Abkommens wurde am 1. Februar 2016 nach drei Jahren und 14 Verhandlungsrunden abgeschlossen. Das ist ein ungewöhnlich kurzer Zeitraum für den Abschluss eines solchen Abkommens. Der Verhandlungsprozess erfolgte unter Mangel an Transparenz – das Mandat wurde nicht veröffentlicht, ebenso wenig wie die während der Verhandlungen ausgetauschten Unterlagen. Die Vorbereitung des Verhandlungsmandats und die gewählten Optionen in den Verhandlungstexten entstanden ohne transparente Diskussion in den Parlamenten oder unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft. Das Abkommen könnte den EU-Mitgliedsstaaten bereits im Jahr 2017 zur Unterschrift und anschließend dem Europäischen Parlament zur Genehmigung vorgelegt werden, mit der Absicht einer teilweisen “Vorläufigen Anwendung” vor der Annahme durch die Parlamente der Mitgliedsstaaten.

Die Auswirkung des Abkommens auf die Entwicklung Vietnams

Vietnam ist durch die Integration der weltweiten Wertschöpfungsketten transnationaler Konzerne auf dem Weg zur „Werkbank der Welt“: Es zog im Jahr 2015 11,8 Milliarden Dollar Auslandsinvestitionen an, insbesondere aus Japan, den Vereinigten Staaten, China und den Britischen Jungferninseln. Das Land betrachtet das Abkommen mit der EU als wichtigen Faktor zur Gewinnung von europäischen Investitionen und für besseren Zugang zum europäischen Markt, der den weltweit führenden Verbrauchermarkt darstellt.

Vietnam ist ein wichtiges Glied in den globaler Wertschöpfungsketten. Es ist spezialisiert auf den Zugsamenbau von Industriebauteilen und den Export arbeitsintensiver Waren. Daher ist der Zugang zu westlichen Verbrauchermärkten für die vietnamesische Wirtschaft äußerst wichtig. Das EU-Vietnam-Abkommen gewährleistet zollfreien Zugang zum europäischen Markt für Kernprodukte vietnamesischer Exporte wie Kleidung, Schuhe und elektronische Geräte.

Negative Auswirkungen auf Landwirtschaft, Gesundheit und Bildung

In Bezug auf die Landwirtschaft wird das Abkommen zwischen der EU und Vietnam die exportierende Agrarindustrie auf Kosten bäuerlicher Familienbetriebe begünstigen. Zum Abschluss der Verhandlungen begrüßte der EU-Kommissar für Landwirtschaft, Phil Hogan, die neuen Exportchancen für die europäische Agrarlebensmittelbranche . Er sagte, das Abkommen werde 99 % des vietnamesischen Agrarmarktes öffnen, während der europäische Markt weiterhin durch Einfuhrkontingente für empfindliche Produkte wie Reis und Zucker geschützt werden würde. Dieser Entwurf kann daher sich negativ auf  die vietnamesische kleinbäuerliche Landwirtschaft auswirken, die von einer Regierung aufgegeben wurde, welche eine Förderung der Agrarexportbranche vorzieht.

Im Rahmen der Liberalisierung von Dienstleistungen hat die EU die Öffnung von Einrichtungen des Gesundheitswesens und der Bildung erreicht , zu denen die europäischen Dienstleister daher Zugang erhalten werden. In Bezug auf den Zugriff auf Arzneimitteln stellt die EU stolz fest, dass sie für Hersteller von Generika die Verwendung von Prüfergebnissen, die von anderen erzielt wurden, für einen Zeitraum von 5 Jahren untersagt hat. Aber solche Beschränkungen auf die gemeinsame Nutzung von Daten können den Verkauf von Arzneimitteln zu erschwinglichen Preisen an möglichst viele Menschen behindern.

Wie strategisch das auch immer aus Sicht der vietnamesischen Regierung sein mag; das Abkommen schließt folglich Maßnahmen ein, die sich voraussichtlich auf mehrere Sektoren, wie z. B. die bäuerliche Landwirtschaft und die Gesundheitsversorgung, negativ auswirken werden. Zudem ist es unausgewogen, da es Schiedgerichte miteinschließt, die die Rechte der Anleger verbindlich macht, während Sozial- und Umweltnormen  aufgrund des fehlenden Sanktionsmechanismus nicht verbindlich geschützt werden. Schließlich ist anzumerken, dass Vietnam bislang nicht an den internationalen Initiativen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung, wie dem BEPS-Plan (Base Erosion Profit Shifting) und dem automatischen Austausch von Steuerdaten der OECD, teilnimmt.

Die Investoren-Staat-Schiedsklausel

In einem Kommuniqué im Februar 2016 begrüßte die Europäische Kommission die Aufnahme der so genannten ICS-Schiedsklausel (Investor Court System) basierend auf das CETA-Modell in das EU-Vietnam-Abkommen. Dieser ICS-Mechanismus soll den einstigen ISDS-Mechanismus (Investor-Staat-Dispute Settlement) ersetzen, der jetzt abgelehnt, aber in hunderten bilateraler Abkommen zu Investitionen weiter besteht. In Abschnitt 3 des Kapitels VIII (Handel mit Dienstleistungen, Investitionen und E-Commerce) des EU-Vietnam-Abkommens wird er definiert

Die wichtigsten von der Kommission vorgelegten Fortschritte beziehen sich auf die Unabhängigkeit der Richter und die Möglichkeit der Berufung. Mehrere grundlegende Probleme von ISDS liegen jedoch noch immer bei ICS vor. Einerseits besteht keine Verpflichtung, nationale rechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, oder ihren möglichen Mangel an Zuverlässigkeit zu belegen, ehe man den ICS in Anspruch nimmt. Es schließt eine “Keine-Umkehr”-Klausel ein, die Unternehmen daran hindert, sowohl den ICS-Mechanismus als auch den nationalen Rechtsweg zu nutzen.

Andererseits arbeitet man beim ICS weiter mit einer vagen Definition des Leitgedankens „faire und gleiche Behandlung von ausländischen Investoren“. Das Gericht muss entscheiden, ob ihre “legitimen Erwartungen” zum Zeitpunkt der Vertragsratifizierung durchkreuzt worden sind oder nicht. Der Mechanismus verbietet auch „indirekte Enteignung“ – eine  Formulierung, die es in der Vergangenheit einigen Schiedsgerichten ermöglicht hat, Gesetze zum Schutz von Umwelt-, Sozial- oder Gesundheitsstandards als solch eine Enteignung anzusehen. Das „Recht zur Regulierung“ von Staaten ist also durch die Gefahr einer möglichen Klage seitens eines ausländischen Investors begrenzt, der sich als Opfer einer indirekten Enteignung sieht. Mehrere beispielhaften Fällen haben gezeigt, dass die Benutzung der ISDS-Schiedsklausel durch Investoren gegen Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit  und /oder des Umweltschutzes unter der ICS weiterhin möglich bleibt.

Das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung

Das EU-Vietnam Abkommen umfasst ein Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung. Es enthält Verweise auf Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen ILO (International Labour Organisation) und auf internationale Vereinbarungen zur Umwelt. Wie auch bei CETA ist dieses Kapitel leider ausdrücklich von dem Sanktionsmechanismus und der Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten ausgeschlossen. Insofern ist der EU-Vietnam-Vertrag somit ein unausgewogenes Abkommen, da er verbindliche Rechte für transnationale Unternehmen über den ICS-Schiedsverfahren-Mechanismus zusichert, während die Umwelt- und sozialen Normen in Ermangelung eines Sanktionsmechanismus im Falle von Nichteinhaltung der Normen unverbindlich sind.

Wie von vietnamesischen zivilgesellschaftlichen Organisationen unterdessen angemerkt, ist Vietnam weit davon entfernt, die sozialen und ökologischen Mindestnormen zu erfüllen. Im Hinblick auf die Achtung der Grundrechte am Arbeitsplatz erkennt Vietnam das Recht auf Vereinigungsfreiheit nicht an, und Gewerkschaften sind der Aufsicht der Kommunistischen Partei Vietnams rechtlich unterstellt. Der IGB (Internationaler Gewerkschaftsbund), der keine angegliederten Mitglieder in Vietnam hat, beklagt die Tatsache, dass das Recht auf Tarifverhandlungen und das Streikrecht stark eingeschränkt sind.

Fehlende Beurteilung der Auswirkung auf Menschenrechte

In seiner Resolution vom 17. April 2014 forderte das Europäische Parlament eine Beurteilung der Auswirkung auf Menschenrechte des EU-Vietnam-Abkommens vor dessen Abschluss. Das ist in der Tat eine gesetzliche Verpflichtung der Europäischen Kommission. Angesichts der Verweigerung der Kommission beschwerte sich 2014 die Internationale Vereinigung der Ligen für Menschenrechte (FIDH) beim europäischen Bürgerbeauftragten, der 2015 empfahl, dass die Kommission diese Beurteilung der Auswirkung „ohne weitere Verzögerung“ durchführen sollte.

Die FIDH gab Empfehlungen zur Formulierung einer Klausel zum Schutz der Menschenrechte, welche Mechanismen zu Entschädigung und Rechenschaftspflicht in Bezug auf die betroffene Bevölkerung beinhalten sollte. Die FIDH begrüßte die Entscheidung des Bürgerbeauftragten, der die Verweigerung der Kommission, die Beurteilung der Auswirkung auszuführen, als „Mißwirtschaft“ bezeichnet hatte,  und unterstrich weiterhin, dass es in Vietnam keine unabhängige Presse und keine freien Gewerkschaften gäbe und dass unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen stark behindert seien.

Empfehlungen

Trotz der Möglichkeiten, die es bietet, besteht beim EU-Vietnam-Abkommen das grundlegende Problem, dass es ausländischen Investoren durch die Schiedsklausel durchsetzbare Rechte zugesichert, es aber keinen Sanktionsmechanismus bei Nichteinhaltung von Sozial- und Umweltnomen vorsieht. Zudem wurde keine Beurteilung der Auswirkung auf Menschenrechte durchgeführt. Aus diesem Grund müssten die folgenden Bedingungen vor Unterzeichnung und erst Recht vor der Ratifizierung erfüllt werden:

  • Das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung bindend machen, indem man es einem Mechanismus für Sanktionen und für die Beilegung zwischenstaatlicher Streitigkeiten, wie im Abkommen zur Sicherstellung der Einhaltung des Kapitel zum Handel enthalten, unterstellt.
  • Eine Hierarchie der Normen sicherstellen, die Menschenrechten und sozialen und ökologischen Normen den Vorrang  über die Rechte von Investoren gewährt,  durch angemessene Bestimmungen im Abkommen, bzw. in einem verbindlichen internationalen Vertrag wie derjenige, der zurzeit bei der [zuständigen] Zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen ausgehandelt wird, der Zugang zu den Gerichten für die Opfer von Verstößen gegen Menschenrechte sicherstellt.
  • Die Ratifizierung des Abkommens von der Ratifizierung der ILO-Kernabkommen durch die vietnamesische Regierung, und ebenso von der Teilnahme Vietnams am BEPS-Plan und dem automatischen Austausch von Steuerdaten abhängig machen.
  • Einfügung einer Klausel in das Abkommen zum Schutz der Menschenrechte, welche Mechanismen zu Entschädigung und Rechenschaftspflicht für die betroffene Bevölkerung bietet.
  • Die vorherige Nutzung von nationalen und europäischen Rechtswegen fordern, bevor man die Schiedsklausel in Anspruch nehmen kann; den Anwendungsbereich dieser Klausel auf direkte Diskriminierung und Enteignung beschränken – “indirekte Enteignungen” ausschließen.
  • Die Einschränkungen bezüglich geistiger Eigentumsrechte entfernen, die den Zugang zu Generika und zur medizinischen Versorgung verringern.

Dieser leicht gekürzte Artikel wurde uns vom beligischen Nationalen Zentrum für Zusammenarbeit und Entwicklung (CNCD) zur Verfügung gestellt