Zum Start der 12. WTO Minister*innen Konferenz in Genf

12.6., Aktivist*innen aus aller Welt sind nach Genf gekommen, um gegen die WTO zu protestieren 

Zum ersten Mal seit 2017 treffen sich die Handelsminister*innen und Delegationen der 164 Mitgliedsstaaten der WTO wieder zum Minister*innen-Treffen. Nach zweimaliger Verschiebung, einer weltweiten Pandemie und dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine, sind die Herausforderungen zahlreich. 

Betrachten wir die großen Versprechen zur globalen Wohlfahrt, welche die WTO seit ihrer Gründung begleiten und den tatsächlichen Verlauf von globaler Ungleichheit, Konzernmacht, Entwicklung sozialer Rechte und der Klimakrise, können wir jedoch nur schließen, dass diese Versprechen gebrochen wurden. Während reiche Länder und transnationale Konzerne von den Regeln der WTO profitieren, leiden Arbeiter*innen, Kleinbäuer*innen, Konsument*innen, indigene Bevölkerungen, Kinder, Ökosysteme, Tiere uvw. weltweit unter der Ausbeutung im Namen des neoliberalen Handels. 

Einblicke in die Vorverhandlungen zur aktuellen Minister*innen-Konferenz, lassen vermuten, dass sich an diesem Ungleichgewicht nichts geändert hat: während nach über 2 Jahren Pandemie noch immer keine Einigkeit zur Freigabe von Patenten für Corona Impfstoffe und – Medikamente in Aussicht ist, bahnt sich keine Einigung zum Thema Über-Fischerei an, die großen Tech-Konzerne pushen ihre Agenda voran und Ansätze zur Frage der Ernährungssicherheit sind mehr als fragwürdig. 

Zur Frage der Patente und Covid-19: 

Im Herbst 2020 haben Indien und Südafrika gefordert, dass der Patentschutz auf Corona-Impfstoffe, -Medikamente und -Schutzprodukte aufgehoben werden solle, damit auch im globalen Süden zu den dortigen Bedingungen produziert und besser verteilt werden könne (der sogenannte TRIPS-Waiver). 

Seitdem wehren sich die reichen Länder, allen voran die EU vehement gegen diesen Vorschlag, der von über 60 weiteren Ländern aus dem globalen Süden unterstützt wird. 

Während die EU sich an sämtlichen anderen Fronten als Frontfrau der Menschenrechte präsentiert, ist sie hier dafür verantwortlich, weltweit Menschen ihr Recht auf Gesundheit zu verweigern. Die EU hat sogar einen Gegenvorschlag zum TRIPS-Waiver eingebracht, der alles andere als wirklich hilfreich wäre und von der dringend notwendigen weitreichenden Patentfreigabe ablenkt. Eine Zustimmung zu diesem Vorschlag bei den Verhandlungen würde das Problem deshalb lange nicht beenden. 

Das sagt Lara von Ärzte ohne Grenzen Deutschland beim Protest vor der WTO zum Thema.

Und auch Felipe von Ärzte ohne Grenzen aus Brasilien ist extra angereist, um sich für die Freigabe der Patente stark zu machen:

Auch direkt vor den WTO-Verhandlungen lassen Aktivist*innen die Delegierten wissen, dass ein echter TRIPS-Waiver dringend notwendig ist.

Zur Frage der Überfischung: 

In den Sustainable Development Goals (SDGs) ist festgehalten, dass Subventionen, die zu Überfischung führen, beendet werden müssen. Zur Eindämmung der Klimakrise ist der Erhalt der Ökosysteme in Meeren und Ozeanen von entscheidender Bedeutung. 

 Um diesem Ziel nachzukommen, wird in der WTO diskutiert, wie ein fairer Mechanismus diesbezüglich geschaffen werden kann. Dabei würde “fair” besonders bedeuten, dass die Perspektive der Länder  im globalen Süden und ihr Recht auf Entwicklung berücksichtigt wird. Es sind nicht die Länder und Fischer im globalen Süden, die für die Überfischung der Meere verantwortlich sind, daher sollte der globale Norden hier seine historische Verantwortung wahrnehmen. So äußern sich beispielsweise 80 Fischerei-Gruppen weltweit zu den Verhandlungen. 

“Schützt Fischer, nicht große Flotten” fordern Aktivist*innen direkt in Genf 

Zur Frage der Ernährungssicherheit 

Während die Lebensmittelpreise schon spürbar steigen und sich eine weltweite Krise immer mehr anbahnt, stehen die Regeln der WTO nationaler Ernährungssouveränität im Wege. Landwirtschaft ist eines der ältesten Streitthemen in der WTO, weswegen sich diese Debatte besonders schwierig gestalten wird. Auf der einen Seite gibt es viele Gründe dafür, Ländern viel Spielraum zu ermöglichen Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität selbstbestimmt zu gestalten – auf der anderen Seite widerspricht das den neoliberalen Theorien und Befürwortern des Welthandels und den Interessen dieses Sektors, in dem global so wenige Konzerne das Sagen haben wie sonst kaum wo. 

Nun haben die G7 einen Vorschlag zu Ernährungssicherheit an der WTO eingebracht, der keine passende Antwort auf eine drohende Nahrungsmittelkrise sein kann – denn besonders in Krisenzeiten kann der “freie” Markt nicht adäquat das Grundbedürfnis auf Ernährung berücksichtigen. Deswegen fordern wir eine langfristige Lösung und die Freiheit für Länder, selbst über nationale Reserven entscheiden zu können! 

Für globale Ernährungssouveränität gingen auch Kleinbäuer*innen und Aktivist*innen aus der ganzen Welt am Samstag auf die Genfer Straßen – Eindrücke gibt es hier

Am Eröffnungstag fordern Aktivist*innen langfristige Lösungen für öffentliche Nahrungsmittellagerung! 

Zur Frage des digitalen Handels 

“Keine WTO `Disziplinierung` für Big Tech Konzerne” rufen Aktivist*innen am Montag vor den WTO-Delegierten. 

Denn: bei den sogenannten “E-Commerce” Verhandlungen, die gegen WTO Regeln von ein paar reichen Ländern geführt werden, geht es vor allem um die Wünsche von Big Tech Konzernen, also den Amazons, Googles und Facebooks dieser Welt. 

Während vielerorts langsam begonnen wird, über Uber, AirBnB und Co und mögliche Regulierungen im Sinne des öffentlichen Interesses zu diskutieren, versuchen Big Tech Konzerne über die WTO solche Regulierungen von vornherein zu verbieten. Dann würde es für Amazon Mitarbeiter*innen schwerer werden, sich zu organisieren; für Schüler*innen schwerer sich inklusiv digital zu bilden; für Menschen im Gesundheitswesen schwerer sich zwischen Behandlungsarten zu entscheiden und Uber könnte irgendwann den öffentlichen Verkehr übernehmen. 

Deswegen fordern wir ganz klar einen Stopp dieser Verhandlungen – wir müssen als Gesellschaften erst einen Dialog über Digitalisierung, über den Umgang mit unseren Daten und die kollektive Nutzung von Technologien führen! 

… und zu allem Überfluss wird die Zivilgesellschaft ausgeschlossen 

Juergen Knirsch von Greenpeace Deutschland, der bei bisher fast allen WTO Konferenzen abwesend war, kritisiert den Ausschluss der Zivilgesellschaft bei den diesjährigen Verhandlungen.

Seitdem zivilgesellschaftlicher Protest es 1999 in Seattle erfolgreich geschafft hat, dass die Konferenz zu keinem Abschluss im Sinne der reichen Länder und Konzerne kommen konnte, nimmt die Repression gegen zivilgesellschaftliche Akteure immer weiter zu. 

Am Eröffnungstag durften diesmal keine Vertreter*innen der registrierten NGOs teilnehmen – eine weitere Verschärfung des Konfliktes seit beispielsweise 2017 in Argentinien, wo einzelne Aktivist*innen nicht einreisen durften. 

Außerdem durften Aktivist*innen zur Eröffnung der Konferenz dem WTO Gebäude nur 200 Meter nahe kommen – was das demokratische Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit extrem einschränkt. Zusätzlich wurden Aktivist*innen von der Polizei schikaniert, auch nachdem der Aufforderung Folge geleistet wurde, sich zu entfernen – die Kritik der Aktivist*innen gibts hier nachzulesen. 

Zusätzlich zu den undemokratischen Ausschlüssen der Zivilgesellschaft, können die Verhandlungspraktiken der reichen Länder in der WTO nur als höchst anti-demokratisch bezeichnet werden: sowohl im Vorfeld als auch während der Konferenz finden zahlreiche sogenannte “Green Room” Treffen zu den verschiedenen Verhandlungsthemen statt, in den einige wenige entscheiden, wer mitreden darf und wer nicht. In einer internationalen Organisation, die nach ihren eigenen Regeln einstimmig entscheiden soll, ist dieses Vorgehen sehr bedenklich. 

Am Dienstag protestierten aus diesem Grund Aktivist*innen direkt vor den Verhandlungsräumen gegen diese Green Rooms: 

… und zur Frage ob die WTO noch zu retten ist? 

Nicht nur die Zivilgesellschaft ist unzufrieden mit den Mechanismen der WTO. Besonders reiche Länder und Konzerne erwarten sich noch mehr von weiterer Liberalisierung und sind frustriert, dass alles zu lange dauert und zumindest theoretisch die Zustimmung aller Länder benötigt. 

Aus diesem Grund gibt es eine Reihe von Diskussionen, die WTO dahingehend zu reformieren, dass nicht mehr die Zustimmung aller für Beschlüsse benötigt wird, auch in kleineren Rahmen verhandelt werden kann und Ideen von Stakeholdern (= Lobbyisten) integriert werden können. 

Diese Ideen würden die grundlegendsten Prinzipien einer WELT-Handelsorganisation aushebeln, die zumindest am Papier alle Länder gleich behandelt bzw. Ländern im globalen Süden besonderen Entwicklungsstatus einräumt. Aus diesen Gründen sind diese Reformversuche abzulehnen – und eine wirkliche Kehrtwende müsse auf den Prinzipien von Solidarität und und Nachhaltigkeit beruhen. Details zu alternativen Vorschlägen gibts hier. 

Bleibt hier am Laufenden!