JEFTA: Und wieder nichts gelernt!

Die EU-Kommission und die Regierungen der – noch – 28 Mitgliedsstaaten wurden rund um die „Frei“handelsabkommen TTIP und CETA mit energischem Widerstand seitens Millionen Bürger*innen konfrontiert. Die Lektion daraus – scheinbar nichts.

Anfang Juli, kurz vor dem skandalumwitterten G20–Gipfel in Hamburg wurde bei einem anderen Gipfel, nämlich jenem zwischen der EU und Japan in Brüssel eine vorläufige Einigung beim Handelsabkommen JEFTA (Japanisch-Europäisches Freihandelsabkommen) verkündet. Eine vorläufige Einigung – das klingt schon ziemlich fertig. Der Eindruck täuscht jedoch, und das ist beileibe kein Zufall. In wichtigen Punkten sind sich die EU und Japan überhaupt nicht einig, zum Beispiel bei den in den letzten Jahren gehörig (und zu Recht) in Verruf gekommenen Konzernklagerechten. Weil die Kommission und die Freihandelsbefürworter*innen seit einiger Zeit aber mit ihrer Agenda wenig vom Fleck kommen, muss jede noch so banale  Zwischeneinigung als großer Erfolg inszeniert werden. Anstatt anzuerkennen, dass die Freihandels-Ideologie am Scheitern ist, wird alter Wein in neuen Schläuchen präsentiert und Mini-Schritte werden schöngeredet.

Nein zu Klagerechten jeder Art

Schon letzten März hat unsere Bündnispartnerin Attac Dokumente veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass Japan das alte System der Konzernklagerechte in den Vertrag reklamieren will, während die EU auf einer neu verpackten Regelung wie in CETA beharrt. Eine Einigung ist da also noch in weiter Ferne. Zudem ist das „neue“ System ICS, das die EU aufgrund des lauten Widerstands der Bürger*innen in CETA hineinverhandelt hat, eine Mogelpackung. Konzernklagerechte bleiben Konzernklagerechte, egal wie sie verpackt werden. Sowohl das bisher übliche System ISDS als auch das angeblich so fortschrittliche ICS ermöglichen Milliardenklagen von Konzernen gegen Staaten am regulären Justizsystem vorbei. Beide Systeme untergraben den demokratischen Rechtsstaat. JEFTA bleibt schon allein deshalb völlig inakzeptabel.

Wie schon zuvor TTIP und CETA wird JEFTA seit 2013 völlig geheim verhandelt. Das liegt nicht nur an der Geheimniskrämerei der europäischen Verhandler*innen, sondern auch an Japan, das keinerlei Transparenz walten lassen will. Es gab bereits 18 Verhandlungsrunden, und bisher wurde kaum Substanzielles veröffentlicht. Eines steht fest: JEFTA würde das bisher größte bilaterale Handelsabkommen der EU darstellen, sollte es je in Kraft treten. Es soll die Exporte nach Japan um 20 bis 30 Prozent steigern und damit ein Handelsvolumen erfassen, das doppelt so groß wie das des heiß umkämpften Abkommens mit Kanada (CETA) wäre. Wie bei TTIP und CETA müssen diese Zahlen jedoch mit Vorsicht genossen werden: Eine im Jahr 2009 veröffentlichte Studie bezifferte die ökonomischen Auswirkungen von JEFTA für die EU noch mit nur 0,14% des europäischen Bruttoinlandsprodukts. Zwei Jahre später wurde auf einmal von einem Anstieg des BIPs um 1,88% gesprochen – das entspricht ungefähr dem Dreizehnfachen des zuerst publizierten Werts. Die Prognose bedeutet zudem, dass JEFTA fast viermal soviel BIP-Zuwachs bringen würde, als es für TTIP vorhergesagt wurde.

Verstöße gegen Arbeitsrecht bleiben folgenlos

Die EU und Japan sind nicht bereit, Verstöße gegen soziale Standards[1] und internationalen Umweltkonventionen auch im Rahmen von JEFTA nicht mit Sanktionen zu ahnden. Was passiert also, wenn selbst diese Minimalstandards und damit z.B. die Rechte von Beschäftigten verletzt werden? Grundsätzlich gibt es einen allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus, der dazu führen kann, dass Verstöße eines Vertragspartners gegen die Bestimmungen zur Deregulierung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs letztendlich mit Sanktionen geahndet werden – dass also z. B. Strafzahlungen fällig werden oder dass durch JEFTA abgebaute Zölle zeitweise wieder angehoben werden dürfen. Die Bestimmungen zu Handel und Arbeit, Umwelt und nachhaltiger Entwicklung sind jedoch von diesem Mechanismus ausgenommen! Für diese Themen gibt es nur ein zahnloses Verfahren, das Mediation und Konsultationen bei Verstößen gegen Arbeitnehmer*innen und Umweltrechten vorsieht während Konzerne den Staat direkt klagen können. Sanktionen zur Durchsetzung von sozialen Standards sind also nicht vorgesehen. Expert*innen sollen bei Verstößen Empfehlungen aussprechen. Hindert beispielsweise ein Unternehmen, seine Mitarbeiter*innen daran, Gewerkschaften beizutreten, erwartet es im Rahmen von JEFTA lediglich ein Empfehlungsschreiben des Expert*innengremiums. Da keine Sanktionen verhängt werden können, bleibt das Vergehen ohne Konsequenzen und das Unternehmen kann die Empfehlungen getrost ignorieren.

Der Trump-Effekt

Auch, wenn diese Zahlen oft nicht mehr als Kaffeesudlesen bedeuten, würde JEFTA gravierende Auswirkungen auf den Welthandel haben. Die EU und Japan produzieren zusammen schon heute ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung. Dem Abkommen wird aber nicht nur aufgrund der prognostizierten Handelszuwächse eine große Bedeutung zugemessen – es soll auch ein Gegengewicht zum (angeblichen) Anti-Freihandelskurs von Donald Trump darstellen und die „Weltoffenheit“ Europas sowie Japans unterstreichen. Es hat also auch eine wichtige psychologische und global-strategische Funktion. In den vergangenen Jahren waren die Verhandlungen zu JEFTA oft nicht vom Fleck gekommen und Japan hatte sich lange geweigert, seine Agrarmärkte für europäische Exporte zu öffnen. Japan fand das TPP, das transpazifische Abkommen, das Japan mit den USA und zehn anderen Staaten verhandelte, weitaus wichtiger als ein Abkommen mit der EU. Seit Trump das TPP jedoch platzen hat lassen, wurden die zuvor unüberwindbaren Hürden in den Verhandlungspositionen schnell übersprungen. Der neue Enthusiasmus, den Japan und die EU in Bezug auf ihr Handelsabkommen nun an den Tag legen, ist laut vielen Kommentator*innen also dem „Trump-Effekt“ geschuldet.

Schlimmer als TTIP oder CETA?

Greenpeace hat Ende Juni erste Papiere veröffentlicht und vor einer Absenkung von Standards durch JEFTA gewarnt. Umwelt- und Klimaschutz sowie Sozial- und Arbeitsstandards werden zugunsten des Investitionsschutzes vernachlässigt, in vielerlei Hinsicht ist JEFTA noch schlechter als TTIP, heißt es auf der Website der Umweltschutzorganisation. Dass der Walfang, aufgrund dessen Japan schon lange im Kreuzfeuer von Tier-und Umweltschutzorganisationen steht, im Abkommen nicht einmal erwähnt wurde (obwohl das Europäische Parlament dies ausdrücklich forderte) stößt vielen Menschen sauer auf. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Umgang mit Japans Rolle in Bezug auf illegal geschlagenes Holz. Greenpeace dazu: „Japan ist der größte Holzimporteur der Welt – sowie einer der Hauptumschlagplätze für illegal geschlagenes Holz. Als einziges G7-Land hat Japan kein Gesetz gegen die Einfuhr von unrechtmäßig geschlagenen Hölzern, lediglich freiwillige Zusagen. Obwohl all das bekannt ist, ergeht sich der Vertragstext in Unverbindlichkeiten: Da ist davon die Rede, dass Japan in Bezug auf illegale Rodungen „die Wichtigkeit erkennen“ müsse; statt konkreter Vorschläge für Maßnahmen gibt es sachte Ermahnungen und den Wunsch, man möge „Informationen und Erfahrungen austauschen“.“ Die EIA (Environment Investigations Agency) beklagt, dass Japans Beschaffungspraktiken den illegalen Holzeinschlag in der EU bereits jetzt befördern. Das schon öfter unrühmlich in die Schlagzeilen geratene österreichische Holzunternehmen Schweighofer habe durch den Export von Holz nach Japan für den dortigen Wohnungsbau Hunderte von Millionen Euro Gewinn gemacht. Der Forest Stewardship Council (FSC) hat sich vor kurzem Schweighofer distanziert und zitiert “klare und überzeugende Beweise” der illegalen Holzbeschaffung. Viele der größten europäischen Käufer, darunter Hornbach, Leroy Merlin, SPAR und Brico Depot, haben daraufhin verlautbart, den Verkauf von Produkten, die aus Schweighofers Holzquellen stammen, zu stoppen. Die japanischen Einkäufer bleiben Schweighofer jedoch treu und bevorzugen dessen Holz gegenüber dem teureren schwedischen oder finnischen Holz.

Und die Landwirtschaft?

Anders als bei TTIP und CETA wird der europäischen Landwirtschaft durch JEFTA kein Verlust von Marktanteilen prognostiziert. Im Gegenteil – gerade der Landwirtschaftssektor war der Grund, dass Japan lange Zeit keinen Millimeter von seinen Verhandlungspositionen abrücken wollte und JEFTA wenig Aussicht auf Erfolg eingeräumt wurde. Durch JEFTA erhofft sich die europäische Milch- und Fleischverarbeitungsindustrie Absatzsteigerungen und eine Entlastung der europäischen Märkte. Japan soll im Landwirtschaftssektor die Märkte für Milch und Fleisch aus Europa deutlich stärker öffnen als bisher. Das wird zu fallenden Erzeugerpreisen führen und die Existenz tausender bäuerlicher Betriebe in Japan bedrohen.

Um die japanische Landwirtschaft auf JEFTA vorzubereiten, hat Japan erst kürzlich eine Änderung des Gesetzes „Livestock Stablization Act“ im Milchsektor auf den Weg gebracht. Das neue Gesetz soll im April 2018 in Kraft treten und es den Molkereien ermöglichen, die Erzeugerpreise nach unten zu drücken. Wie schon bei CETA sollen Bauern und Bäuerinnen unterschiedlicher Regionen gegeneinander ausgespielt werden. In der EU droht seit dem Wegfall der Quote die bäuerliche Milchwirtschaft wegzubrechen und einer industriellen Produktionsform zu weichen. Die durch die industrielle Produktion und den enormen Eiweißfuttermittelimport erzeugten Überschüsse sollen nun nach Kanada oder Japan exportiert werden – und die dortigen Märkte unter Druck bringen. Einzig die Milchindustrie, die vor allem billige Massenwaren exportiert, profitiert von JEFTA und Co.

Kein Ende in Sicht?

Die EU-Kommission führt – im Auftrag der Mitgliedsstaaten-  außer mit Japan mit sehr vielen Ländern dieser Welt bilaterale Handelsgespräche. Auch für die Verhandlungen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten erhofft sich die EU-Kommission noch in diesem Jahr einen Abschluss. Die brasilianische Fleischindustrie erwartet eine großzügige Marktöffnung in Europa für ihre billigen Rindfleischexporte. Mit dem CETA-Abkommen zwischen EU und Kanada werden die übersättigten Märkte innerhalb der EU mit zusätzlichem billigen Schweine- und Rindfleisch aus Kanada belastet. Für diesen Sommer noch ist der offizielle Verhandlungsbeginn für ein Freihandelsabkommen mit Neuseeland und Australien geplant, das beträchtliche Milchimporte nach Europa erlauben würde, obwohl die hiesige Milchkrise noch nicht abgeklungen ist.

Der Widerstand geht weiter

Dass die Freihandelsbefürworter, die neoliberalen Regierungen und die EU-Kommission aus dem Widerstand gegen CETA und TTIP nichts gelernt haben, ist verwunderlich. Und dass sie vortäuschen, dass nicht vollständig ratifizierte oder nicht einmal fertig verhandelte Abkommen wie CETA oder JEFTA schon gegessene Sache seien, ist eine leicht zu durchschauende Strategie. Noch ist CETA in seiner Gesamtheit nicht in Kraft – erst zwei EU-Mitgliedsstaaten haben das Abkommen ratifiziert. In vielen Mitgliedsstaaten scharren kritische NGOs und Bewegungen in den Startlöchern, um ihre Parlamentarier*innen davon zu überzeugen, dass sie CETA nicht zustimmen. Auch bei JEFTA werden wir nicht tatenlos zusehen – zurzeit gibt es Petitionen und Mobilisierungen gegen JEFTA in vielen EU-Mitgliedsstaaten. Und was TTIP betrifft: Leider haben wir die derzeitige Entwicklung vorhergesehen. Nachdem Trump gewonnen hatte, schrien die “Frei”handelsbefürworter laut: TTIP sei jetzt zwar tot, aber was für einen Preis hätten wir dafür bezahlt! Der Widerstand gegen TTIP und Co habe zum Sieg von Trump beigetragen…Da Trump sowohl völlig unberechenbar als auch ein Lobbyist der Konzerne ist, war es jedoch nur eine Frage der Zeit, wann das kranke Pferd TTIP wieder ins Rennen geschickt wird. Wir aber lassen nicht locker – wir werden den Widerstand gegen TTIP wieder hochfahren und gemeinsam CETA und JEFTA stoppen!

Die Petition gegen JEFTA kann auf www.ttip-stoppen.at unterschrieben werden.

Dieser Beitrag stammt von Irmi Salzer von der ÖBV/Via Campesina.

[1] (Recht auf Vereinigungsfreiheit und auf kollektive Tarifverträge, die Abschaffung aller Formen von Zwangsarbeit, die Abschaffung von Kinderarbeit und die Abschaffung von Diskriminierungen hinsichtlich Beschäftigung und Beruf)